Digitale Aufbruchstimmung in der Leasing-Wirtschaft

Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für die Leasing-Wirtschaft

Ähnlich wie die Dampfmaschine vor über 200 Jahren die Welt revolutionierte und die Industrialisierung einleitete, verändert die digitale Vernetzung heute grundlegend Gesellschaft und Wirtschaft. Egal ob Maschinenbauer, Einzelhändler, Medizintechniker, Bank oder Automobilhersteller – alle Unternehmen, Branchen und Märkte sind betroffen. Der digitale Wandel stürzt bewährte Geschäftsmodelle um und ersetzt sie durch neue. Musik und Filme werden gestreamt – auf Geräten, die in die Hosentasche passen, gesteuert über Apps. Plattformen wie Airbnb und Uber revolutionieren die Touristik- und Beförderungsbranche. 3D-Drucker individualisieren die Produktion und sorgen für Losgröße 1. Fertigungsanlagen und Produkte werden auf virtuellen Plattformen entwickelt und getestet, selbstlernende Software optimiert Produktionsprozesse, Fahrzeuge steuern sich autonom, Maschinen rufen von sich aus den Servicetechniker an.

Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklungen sind innovative Software, Apps sowie mobile Anwendungen, die von kreativen, unkonventionellen IT-Start-ups entwickelt werden. Das digitale Zeitalter zwingt jedes Unternehmen, sein Geschäftsmodell, die Kommunikation mit Kunden und Zulieferern, seine Arbeitsabläufe, die Art des Zusammenarbeitens, letztlich seine Unternehmenskultur zu überprüfen und den neuen Bedingungen anzupassen. Wer sich nicht wandelt, geht unter: Die Überschneidung der in der Fortune Global 500-Liste veröffentlichten umsatzstärksten Unternehmen weltweit vor 50 Jahren und heute beträgt nur zehn Prozent.

Der digitale Wandel wirkt sich auch auf die Prozesse von Leasing-Gesellschaften aus. Kunden können und wollen nicht in Digitalisierung investieren, wenn im Hintergrund manuelle Prozesse ablaufen. Befragungen zeigen, dass knapp zwei Drittel der Firmenkunden ihren Finanzierungspartner auch nach dessen digitalen Angeboten auswählen. Die Leasing-Wirtschaft hat dies erkannt: Sie befindet sich in Aufbruchsstimmung und geht den digitalen Wandel an.

Das Fundament für die Zukunft ist in den Leasing-Gesellschaften bereits gelegt und zwar unabhängig von Unternehmensgröße, Eigentümerhintergrund oder Objektschwerpunkt. Jetzt heißt es, darauf aufzubauen,

kommentiert BDL-Hauptgeschäftsführer Horst Fittler den Status quo.

Neue Vertriebswege

Treiber und Motor für die Leasing-Gesellschaften sind das sich ändernde Kundenverhalten und die damit verbundenen höheren Erwartungen. B2B-Kunden übertragen ihre Erfahrungen aus dem privaten Erleben in den Geschäftsbereich. Die Erreichbarkeit an sieben Tagen in der Woche über 24 Stunden gehört genauso dazu, wie Produkte und Vertragsdetails in Echtzeit über das Smartphone abzurufen. Dies bedeutet, insbesondere im Vertrieb neue Wege zu gehen, in puncto digitaler Vertragsabwicklung und Etablierung neuer Vertriebskanäle:

Bestimmte Kundengruppen werden kleinere Leasing-Tickets und einfache Vertragsarten künftig auf E-Commerce- und Preisvergleichsportalen abschließen oder es ihrem digitalen Sprachassistenten (z. B. Siri oder Alexa) überlassen,

blickt Florian Mahler in die nicht mehr allzu ferne Zukunft. Mahler ist Leiter Produktentwicklung & Digital Office der abcfinance GmbH in Köln. Mit seinem Team entwickelt er digitale Angebote, mit denen er „Digital Natives begeistern will“, die in absehbarer Zeit in die Führungsebenen von Unternehmen aufrücken.

Florian Mahler, Leiter Produktentwicklung & Digital Office der abcfinance GmbH

In der Branche herrschen verschiedene Meinungen zu Vergleichsportalen. „Tatsache ist, dass bereits mehrere Plattformen existieren“, erläutert Fittler.

Zusätzliche Serviceangebote sind gefragt, wenn man sich nicht nur über den Preis unterscheiden will. Wer unabhängig bleiben will, muss eigene digitale Lösungen entwickeln, 

empfiehlt der BDL-Hauptgeschäftsführer.

Die Kundenbedürfnisse wandeln sich in vielfacher Hinsicht. Kunden verlangen nach einer einfachen Kommunikation, sie verlangen neben permanenter Erreichbarkeit mehr Flexibilität und Schnelligkeit. Um dies zu erreichen, müssen Prozesse und interne Abläufe in den Gesellschaften verschlankt, automatisiert und digitalisiert werden. Online- und Offline-Prozesse müssen barrierefrei miteinander verknüpft werden. Aber die Veränderungen gehen weit darüber hinaus, denn Kunden erwarten flexible, mit Zusatznuten angereicherte Produkte und mehr Service. Die durch neue Technologien verfügbaren Datenmengen müssen analysiert und Serviceleistungen daraus abgeleitet werden, die die Leasing-Gesellschaften ihren Kunden (proaktiv) anbieten. Die Menge der gesammelten Daten verdoppelt sich theoretisch etwa alle drei Monate. Und die Leasing-Experten können aufgrund ihrer Objekt- und Marktkenntnisse die Daten besonders zielgerichtet analysieren. Mit den daraus entwickelten Services und Leasing-Modellen verschaffen sie ihren Kunden einen weiteren Mehrwert aus der Digitalisierung.

Kai-Otto Landwehr, Vorsitzender der Geschäftsführung, Siemens Finance & Leasing

Vom Finanzierer zum ganzheitlichen Berater

Wie sehr die Digitalisierung das Selbstverständnis der Leasing-Gesellschaften verändert, erläutert Kai-Otto Landwehr, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Siemens Finance & Leasing:

Für einen Leasing-Geber wird es nicht mehr genügen, standardisierte Finanzprodukte anzubieten – und sich bei Anfragen Zeit zu lassen. Vielmehr rückt der Kunde ganzheitlich in den Fokus – von der betriebswirtschaftlichen und technologischen Beratung, über die Finanzierung bis zur Unterstützung bei Marketing und Vertrieb. Neue Geschäftsmodelle und Technologien werden entstehen, dies kennen wir von anderen Branchen. Als Dienstleister müssen wir einen Perspektivenwechsel vornehmen, die eigene Sichtweise zurückstellen und uns die Brille des Kunden aufsetzen.

Hat die reine Leasing-Finanzierung also in der Zukunft ausgedient? Vieles deutet darauf hin. Denn neue Geschäftsmodelle der Kunden verlangen im Gegenzug neue Leasing-Modelle. Zudem findet Disruption bei den Objekten statt.

Wenn der Weg vom fahrgefühlbeseelten Einzelnutzer zur kollektiven erlebnisorientierten Mobilität selbstfahrender Fahrzeuge geht, dann müssen dafür auch passende Finanzierungs­alternativen – etwa analog zum Crowd Funding ein Crowd Lending – geschaffen werden,

erläutert Dr. Frank Henes, Geschäftsführer der akf leasing GmbH & Co KG. Und Kai-Otto Landwehr ergänzt:

Es wird mehr innovative, ergebnisorientierte Leasing-Modelle geben, bei denen sich die Raten an definierten und messbaren Kriterien orientieren. Dies können etwa Einsparungen oder Effizienzgewinne sein.
Dr. Frank Henes, Geschäftsführer, akf leasing GmbH & Co KG
Jochen Jehmlich, Sprecher der Geschäftsführung, GEFA Bank GmbH

Wer sich verändert und den neuen Bedürfnissen der Kunden anpasst und diese proaktiv befriedigt, sieht keine Bedrohung durch Disruption in seinem Geschäftsfeld. Modifikation oder Evolution heißen hier die Stichworte.

Evolution beschreibt unsere Vision für das digitale Zeitalter,

erläutert Jochen Jehmlich, Sprecher der Geschäftsführung der GEFA Bank GmbH. „Viele gezielte Initiativen, Projekte, Anpassungen und Veränderungen an der Schnittstelle zum Kunden, aber auch intern mit Blick auf Prozesse und Strukturen charakterisieren unsere digitale Geschäftsstrategie.“ Die Informationsvielfalt zu bündeln, zu analysieren und ein tiefes Verständnis der Prozesse und der Organisation beim Kunden zu entwickeln, gehört zu den Herausforderungen der digitalen Transformation. Dafür sind die Leasing-Experten prädestiniert, denn Objektkompetenz, Expertise und auch die Nähe zur Realwirtschaft sind Eigenschaften, die Leasing deutlich von anderen Finanzierern unterscheiden.

Unternehmenskultur als Schlüssel für Digitalisierung

Technologische Weiterentwicklung und kulturelle Veränderungen müssen Hand in Hand gehen. Die Digitalisierung interner Abwicklungsprozesse und Schnittstellen nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, aber entscheidend für den Erfolg ist die grundsätzliche Haltung.

Die Voraussetzung ist, digitale Bedürfnisse der Kunden zu erkennen, Prozesse neu zu denken und unsere Unternehmenskultur anzupassen. Verschiedene Bereiche im Unternehmen müssen enger zusammenarbeiten und Lösungen und Produkte entwickeln. Wissen und Informationen dürfen nicht länger in einzelnen Abteilungen isoliert sein. Eine neue Kultur des Teilens und der Zusammenarbeit ist erforderlich, um den Anforderungen von außen gerecht zu werden,

bringt Holger Harmsen, Vorstand der LeasAG Leasing Aktiengesellschaft in Düsseldorf, es auf den Punkt.

Holger Harmsen, Vorstand, LeasAG Leasing Aktiengesellschaft

Horizontale Vernetzung, Interdisziplinarität, Verzahnung von Fachrichtungen und eine Kultur des Ausprobierens sind Schlüsselfaktoren für die digitale Revolution made in Silicon Valley. Deutschland als Industriestandort hat seinen bisherigen Erfolg aus der vertikalen Vernetzung, einer Hochspezialisierung und einem Null-Fehler-Anspruch entwickelt. Diese unterschiedlichen Kulturen gelten als Ursache, warum die deutsche Wirtschaft beim digitalen Wandel hinterherhinkt. „Leasing-Gesellschaften sind hier eindeutig im Vorteil“, erläutert BDL-Hauptgeschäftsführer Fittler.

Gemischte Teams aus unterschiedlichen Fachrichtungen, Cross-over-Qualifikationen, Quereinsteiger, flache Hierarchien und schnelle Entscheidungswege machen ein modernes Leasing-Unternehmen aus.

Entscheidend für den erfolgreichen Wandel ist zudem ein veränderter Umgang mit Fehlern, weg von der Perfektion und hin zum Denken in Updates.

Wir versuchen antizipativ Lösungen zu entwickeln und zu implementieren, von denen nicht alle – wie in einem evolutionären Umfeld nicht anders zu erwarten – hundertprozentig erfolgreich sein können. Vor diesem Hintergrund ist eine Kultur der Akzeptanz von Fehlern und des Lernens aus eben diesen, eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche ′Evolution′ im digitalen Zeitalter,

führt Jochen Jehmlich aus.

Dazu gehören auch neue Formen der Zusammenarbeit, agile Methoden statt Wasserfall-Prinzip. Organisatorisch werden verschiedene Wege beschritten: Vom Digital Office außerhalb der Linie über eigene Forschungs- und Entwicklungseinheiten mit kreativem Freiraum bis zum kooperierenden oder aufgekauften Start-up wird aktuell vieles getestet. Die Erfahrung aus anderen Branchen zeigt, dass die Verknüpfung von neuen und langjährigen Mitarbeitern in gemischten Teams (Alter, Erfahrung und Betriebszugehörigkeit, Quereinsteiger) erfolgsversprechend ist. Junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen über unkonventionelle Kreativität und können „out of the box“ denken, aber ihnen fehlen häufig die Kundensicht und das Fachwissen. Entscheidend ist jedoch, dass die Führungskräfte als Vorbilder fungieren und die Mitarbeiter einbinden und weiterbilden.

FinTech als Inspiration

Derartig aufgestellt, scheuen die Leasing-Gesellschaften den Wettbewerb nicht. FinTechs werden nicht als Bedrohung gesehen, sondern als Kooperationspartner. Sie sind Inspirationsquelle und mögliche Kooperationspartner“, führt der BDL-Hauptgeschäftsführer aus. Holger Harmsen ergänzt:

FinTech ist keineswegs ein Synonym für Start-up aus der Finanzwelt, auch wenn es oft so verwendet wird. Es beschreibt vielmehr eine Haltung. Diese Haltung dürfen auch wir gern einnehmen.

Persönliche Beratung bleibt wichtig

Bei aller Digitalisierung – darin sind sich die Leasing-Experter einig – wird die Schnittstelle zum Kunden weiterhin durch die persönliche Begegnung und das Gespräch geprägt sein. Kunden legen auch im digitalen Zeitalter Wert auf eine Beratung auf Augenhöhe mit Markt-Know-how und Expertise, eine Kernkompetenz der Leasing-Branche. Florian Mahler ist sich sicher:

Der Mensch ist ein soziales Wesen und bevorzugt bei wichtigen Entscheidungen den Rat eines Menschen, dessen Gestik und Mimik unterbewusst in die Entscheidung einfließen. Jahrtausendealte Instinkte lassen sich nicht wegdigitalisieren.